Demokratie in Gefahr!
Die Reise geht in eine erschreckende Richtung
Als ich diese Seite im Oktober 2024 startete fragte ich mich, wohin die „Alternative für Deutschland“ (AfD) und das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) Deutschland führen würden. Damals fürchtete ich (Sie können es weiter unten auf dieser Seite nachlesen), Sahra Wagenknecht und das nach ihr benannte (und von ihr weitgehend dominierte) Bündnis könnten in Thüringen zu Steigbügelhaltern für eine Ministerpräsidentschaft des Thüringer AfD-Landesvorsitzenden und -Rechtsaußen Björn Höcke werden. Diese Befürchtungen haben sich zum Glück nicht bestätigt – was nicht zuletzt dem großen Selbstbewusstsein und der Entschlossenheit der Thüringer BSW-Landesvorsitzenden Katja Wolf zu verdanken ist, die sich erfolgreich gegen eine zu große Einflussnahme ihrer Bundesvorsitzenden auf die Koalitionsverhandlungen in ihrem Land zur Wehr setzen konnte.
Am Morgen des 3. Februar 2025 hoffte ich noch, diese Seite mit dem Artikel über „Merz’ Tabubruch“ (weiter unten auf dieser Seite) nach der Formulierung einer entsprechenden Ankündigung zeitnah hochladen zu können. Schon der Gegenstand dieses Artikels hatte mich zutiefst aufgewühlt und Befürchtungen aufkommen lassen, dass Deutschland nach den für den 23. Februar 2025 angesetzten Wahlen zum Deutschen Bundestag eine politisch zumindest unruhige, möglicherweise sogar unsichere Zukunft bevorstehen könnte. Immerhin konnte (musste?) der Eindruck entstehen, Friedrich Merz und die Fraktion der CDU/CSU hätten einen lange unter den demokratischen Parteien dieses Landes geltenden geltenden Konsens aufgekündigt (näher beschrieben als die zweite der beiden in dem Artikel „FDP-Lindner will nicht mehr mit den Grünen koalieren“ [weiter unten auf dieser Seite] dargestellten „stillschweigenden Vereinbarungen“). Dass nun der FDP-Bundesvorsitzende seinerseits die andere, wohl noch weitaus länger geltende dieser beiden Übereinkünfte aufkündigen möchte, droht mein Vertrauen in unsere Demokratie, mit der ich aufgewachsen bin und die ich nach anfänglichen jugendlichen Zweifeln lieben und vor allem schätzen gelernt habe, in seinen Grundfesten zu erschüttern. Zwar werde ich mit meinen – zugegebenermaßen bescheidenen – Mitteln versuchen, so lange es mir irgendwie möglich ist die Demokratie und die demokratischen Freiheiten in unserem Land zu verteidigen; aber ich sehe die Gefahr ihres Verlustes größer und größer werden und meine ohnehin schon geringen Kräfte zusehends schwinden. Meine große Sorge: Wenn schon die Parteien, die sich traditionell unserer Demokratie und den mit ihr verbundenen Werten und (informellen) Übereinkünften nicht mehr verpflichtet fühlen, wie kann es dann uns „einfachen Bürgern“ noch gelingen, diese Demokratie zu verteidigen und zu bewahren?
FDP-Lindner will nicht mehr mit Grünen koalieren
Kaum ist die eine schwerwiegende Krise für das demokratische System in Deutschland in ihrer allergrößten Ausprägung einigermaßen ausgestanden, da läuft die nächste zutiefst beunruhigende Nachricht über die Ticker: Der FDP-Bundesvorsitzende Christian Lindner hat angekündigt, einen Beschluss seiner Partei herbeiführen zu wollen, nicht mehr mit Bündnis 90/DIE GRÜNEN zu koalieren. Er begründet dies mit den Erfahrungen aus der „Ampel“-Koalition und dem Abstimmungsverhalten von SPD und GRÜNEN zu den von der CDU/CSU eingebrachten im Deutschen Bundestag eingebrachten Anträgen in der vergangenen Sitzungswoche (vgl. den unmittelbar nachfolgenden Artikel).
Meine Meinung: Bei Asterix und Obelix würde es jetzt womöglich heißen: „Die spinnen, die Germanen!“ Aber ernsthaft: Was ist gerade los bei den politischen Parteien in Deutschland? In dem vor gut einem Monat zu Ende gegangenen Jahr haben wir Deutsche – wie ich meine, sehr zu Recht – das siebzigjährige Inkrafttreten unseres Grundgesetzes gefeiert. Seit dessen Inkrafttreten gab es eine stillschweigende Vereinbarung unter den demokratischen Parteien, dass sie – bei allen Unterschieden in der Sache – untereinander Koalitionen eingehen und miteinander Regierungen bilden könnten. Und es gab einen weiteren Konsens: Keine Zusammenarbeit mit Parteien, deren Bestrebungen sich gegen die von diesem Grundgesetz vorgegebene freiheitlich-demokratische Grundordnung und damit letztlich gegen dieses Grundgesetz selbst richten. Ausfluss dieses Konsenses waren das 1952 vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verfügte Verbot der Sozialistischen Reichspartei (einer Nachfolgeorganisation der NSDAP) und das 1956 von ihm erlassene Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands sowie die beiden lediglich aus formalen Gründen gescheiterten Versuche, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) verbieten zu lassen. (Obwohl das letzte dieser beiden Verfahren ergab, dass diese Partei sehr wohl verfassungsfeindliche Ziele verfolgte, und das BVerG die Partei nur mit dem Argument nicht verbot, sie sei zu klein, um diese zu erreichen, wird dieses Ergebnis bislang immer wieder gegen Forderungen ins Feld geführt, ein Parteiverbotsverfahren auch gegen die AfD einzuleiten.) Und bis zum 24. Januar 2025 war auch Ausfluss dieses Konsenses, dass die demokratischen Parteien dieses Landes – jedenfalls in den Landesparlamenten und im Deutschen Bundestag – keine gemeinsame Sache mit der AfD machen. Dieser Konsens ist – wie im nachfolgenden Artikel nachzulesen ist – in der letzten Januarwoche des Jahres 2025 von den so genannten Unionsparteien aufgekündigt worden.
Nun also soll die FDP nach dem Willen ihres Bundesvorsitzenden auch aus der oben zuerst genannten stillschweigenden Übereinkunft aussteigen. Bemerkenswert an diesem Vorgang ist nicht zuletzt, dass – jedenfalls bis jetzt und für mich – keine Beschlusslage der FDP erkennbar ist, die eine Zusammenarbeit mit der AfD ausschließen würde. Nun könnte man argumentieren, das sei ja eine stillschweigende Übereinkunft unter den demokratischen Parteien, und bei der SPD und den GRÜNEN gebe es ja auch keinen solchen Beschluss. Nur: Zum einen gibt es einen solchen Beschluss bei der CDU, an den sie sich aber inhaltlich nicht mehr gebunden zu fühlen scheint (formal zieht sich Friedrich Merz auf den Standpunkt zurück, man würde ja nach wie vor nicht mit dieser Partei sprechen), und zum anderen: Warum sollte man sich an die eine Übereinkunft noch gebunden fühlen, wenn man doch die andere aufzukündigen bereit ist? Nicht vergessen werden sollte auch, dass die FDP schon einmal gemeinsame Sache mit der AfD gemacht hat, als sich vor fast genau fünf Jahren ein gewisser Thomas Kemmerich von eben dieser Partei mit den Stimmen der AfD zum Ministerpräsidenten Thüringens wählen ließ!
Merz’ „Tabubruch“
Vorweg: Als ich die Überschrift zu diesem Artikel formulierte, habe ich kurz darüber nachgedacht ob es angemessen ist, den in den vergangenen Tagen im Zusammenhang mit den hier zu schildernden Vorgängen so oft bemühten Begriff „Tabubruch“ (ein weiteres Mal) zu verwenden. Doch ich habe entschieden: ‚Ja! Es ist angemessen. Die Dinge müssen beim Namen genannt werden. Gerade in dieser Situation!' Doch der Reihe nach: Worum geht es überhaupt, was genau ist passiert?
Am 19. Januar 2025 um 11.45 Uhr verübte in Aschaffenburg ein – wie sich später herausstellte – Ende 2022 nach Deutschland eingereister 28-jähriger Afghane, der nach einem von ihm selbst abgebrochenen Asylverfahren ausreisepflichtig und wegen mehrfacher Gewalttaten in psychiatrischer Behandlung war, mit einem Küchenmesser ein Attentat auf eine Kindergarten-Gruppe. Ein zweijähriger Junge marokkanischer Abstammung und ein 41-jähriger Mann, der sich schützend vor das Kind bzw. die Kinder stellen wollte, wurden getötet. Ein ebenfalls zweijähriges Mädchen und eine 59-jährige Erzieherin, die vor dem Täter flüchten wollte, wurden verletzt. Das Entsetzen und die Trauer waren groß, aber die Menschen in Aschaffenburg selbst baten – dokumentiert etwa in einem Interview mit einem Reporter der ARD-Tagesschau – darum, dieses furchtbare Geschehen nicht politisch zu instrumentalisieren.
Die zu klärenden Fragen lagen ganz offensichtlich auf der Hand: Warum war der Täter noch im Land? Hatte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Ausreisepflicht den bayerischen Behörden – wie von diesen behauptet – erst acht Tage vor dem Ende der von Gesetzes wegen einzuhaltenden Frist für eine Abschiebung (nach Bulgarien, von wo aus er nach Deutschland eingereist war) gemeldet, oder hatten die bayerischen Behörden die nicht stattgefundene Abschiebung zu verantworten? Scheiterte sie möglicherweise aus anderen Gründen? Warum war der Mann – entgegen seiner Ankündigung aus dem Dezember 2024 – nicht freiwillig ausgereist? Waren entsprechende Unterstützungsleistungen des BAMF nicht gewährt oder womöglich gar nicht beantragt worden? Hätten aus seiner bekannten psychischen Erkrankung Rückschlüsse gezogen oder gar seine Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden müssen? Und selbstverständlich (über diesen konkreten Fall hinaus): Wie können die Abläufe rund um ausreisepflichtige Menschen verbessert werden? Was ist in Bezug auf geflüchtete Menschen zu tun, die bereits bei der Einreise mit psychischen Problemen belastet sind oder solche während ihres Aufenthalts in Deutschland entwickeln? Wie kann diesen Menschen besser bzw. effektiver geholfen werden; gibt es derzeit in Deutschland überhaupt die hierfür notwendigen Kapazitäten?
Vielleicht wären diese Fragen unter anderen Umständen sogar gestellt bzw. diskutiert worden. Aber am 23. Februar wird ein neuer Deutscher Bundestag gewählt werden, und folglich befinden sich die Parteien im Wahlkampf. So drehte sich die Diskussion schnell – wieder einmal – um die angesichts dieses aktuellen Falles eigentlich übergeordnete, gewissermaßen generelle Frage der Begrenzung illegaler Migration. Hierunter fällt auch die Einreise von Asyl suchenden Personen aus einem anderen EU-Staat, weil diese Menschen entsprechend den europäischen Regeln dort einen Asylantrag hätten stellen und dessen Bescheidung hätten abwarten müssen. Am 24. Januar kündigte der CDU-Parteivorsitzende, Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag und Kanzlerkandidat dieser Parteien, Friedrich Merz, an, in der darauffolgenden Woche im Deutschen Bundestag zwei Entschließungsanträge und einen Gesetzentwurf zur Begrenzung der Migration einbringen und zur Abstimmung stellen zu wollen, „unabhängig davon, wer ihnen zustimmt“.
Hierzu muss man nun Folgendes wissen: Diese Anträge sowie der Gesetzentwurf waren bereits im September 2024 nach einem ähnlichen Vorfall von der Unionsfraktion im Deutschen Bundestag eingebracht worden. Nach der 1. Lesung hatte der federführende Ausschuss für Inneres und Heimat auf seiner Sitzung vom 6. November 2024 mit den Stimmen Fraktionen der damaligen „Ampel“-Koalition dem Plenum eine Ablehnung des Gesetzentwurfs und der parallel beratenen Anträge empfohlen. Nach dem Zerbrechen dieser Koalition (noch am selben Tag!) war zwischen diesen Parteien und der CDU/CSU-Fraktion vereinbart worden, die weitere Beratung des Gesetzentwurfs auszusetzen, da die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN deutlich gemacht hatten, ihn ablehnen zu wollen. Noch viel wichtiger – und eben von entscheidender Bedeutung für die Bewertung der hier geschilderten Vorgänge – ist ein Vorschlag von eben jenem Friedrich Merz, den dieser nach dem Bruch der „Ampel“-Koalition am 13. November 2024 im Deutschen Bundestag unterbreitet hatte: „Für die wenigen verbleibenden Entscheidungen, die ohne Bundeshaushalt möglich sein könnten, will ich Ihnen hier einen Vorschlag machen: Wir sollten mit Ihnen, den Sozialdemokraten, und Ihnen, die Grünen, vereinbaren, dass wir nur die Entscheidungen auf die Tagesordnung des Plenums setzen, über die wir uns zuvor mit Ihnen von der SPD und den Grünen in der Sache geeinigt haben, sodass weder bei der Bestimmung der Tagesordnung noch bei den Abstimmungen in der Sache hier im Haus auch nur ein einziges Mal eine zufällige oder tatsächlich herbeigeführte Mehrheit mit denen da von der AfD zustande kommt. Diese Verabredung möchte ich Ihnen ausdrücklich vorschlagen, meine Damen und Herren. Denn das hätten diese Damen und Herren von rechts außen doch gerne, dass sie plötzlich die Mehrheiten besorgen, und sei es mit Ihnen von den beiden Minderheitsfraktionen bei der Bestimmung der Tagesordnung. Wir wollen das nicht. Ich hoffe, Sie sehen das auch so, liebe Kolleginnen und Kollegen.“ (Hervorhebung von mir)
Angesichts des Faktums dieser Aussage mögen Sie, liebe Besucherinnen und Besucher dieser Website, zunächst einmal ruhig selbst entscheiden, wie Merz’ Ankündigung vom 24. Januar zu bewerten ist. Er machte sie, obwohl er wusste, dass die Fraktionen von SPD und Bündnis 90/DIE GRÜNEN sowohl die Anträge als auch den Gesetzentwurf nach wie vor ablehnen würden, und er war auch nicht bereit,ernsthaft mit ihnen über Änderungen daran zu verhandeln. Insofern nahm er sehenden Auges und mit vollem Bewusstsein (wie seine weiter oben zitierte Einlassung zweifelsfrei dokumentiert) in Kauf, dass eine Zustimmung des Deutschen Bundestages zu seinen Plänen nur dann möglich sein würde, wenn auch die AfD diese geben würde. Dass Altbundeskanzlerin Angela Merkel ihn hierfür kritisieren würde, war zwar einerseits wegen ihrer ansonsten geübten Zurückhaltung, sich zu aktuellen politischen Vorgängen zu äußern, nicht unbedingt zu erwarten. Wirklich verwundern muss diese Erklärung jedoch auch nicht, schließlich waren Merkel und Merz nie unbedingt die besten politischen Freunde. Bemerkenswerter ist da schon, dass auch eine dringliche Bitte der Vertretungen der katholischen und der evangelischen Kirche in der Bundeshauptstadt, von den Plänen Abstand zu nehmen, keinerlei Wirkung zeigte. Kann sich eine Partei, die immerhin das „C“ für „christlich“ in ihrem Namen trägt, ein solches Vorgehen ernsthaft leisten? Die Zukunft (vielleicht schon das Wahlergebnis vom 23. Februar 2025) wird es zeigen müssen.
Meine Meinung: Ob Friedrich Merz mit dieser Aktion – wie er meint – recht hatte und aus ihr als Sieger hervorgegangen ist, wird sich erst noch zeigen müssen. Eines seiner Argumente war sinngemäß: „Das Richtige wird nicht dadurch falsch, dass die Falschen zustimmen.“ Und Kritik daran, dass er in Kauf genommen hat, die Zustimmung des Deutschen Bundestages zu seinen Plänen nur mit den Stimmen der AfD erreichen zu können und somit sein im November 2024 im Deutschen Bundestag gegebenes Versprechen (s.o., vorletzter Absatz) gebrochen zu haben, weist er mit dem Hinweis zurück, es habe keine Zusammenarbeit mit der AfD-Fraktion gegeben: die Anträge und der Gesetzentwurf seien ihr nicht im Vorhinein vorgelegt oder mit ihr besprochen worden.
Hierzu Folgendes: Zunächst einmal darf bezweifelt werden, dass mit dem vorgelegten Gesetzentwurf „das Richtige“ getan werden sollte. So haben die Kirchen in ihrer Stellungnahme deutlich gemacht, dass „durch die von der Union angestrebte Verschärfung der Migrationspolitik ... keiner der Anschläge in Magdeburg oder Aschaffenburg [hätte] verhindert werden können“. Darüber hinaus hat etwa die Gewerkschaft der Polizei (GdP) darauf hingewiesen, dass die in dem Gesetzentwurf enthaltenen Vorschriften für striktere Grenzkontrollen gar nicht umsetzbar seien; hierfür würden allein etwa 10.000 zusätzliche Bundespolizist*innen benötigt. Und nicht nur von den Kirchen ist angemerkt worden, dass nach den Messerattentaten von Aschaffenburg Solingen (auf die die Unionsparteien mit ihren Vorschlägen ja erklärtermaßen reagieren woll(t)en) ganz andere Sachverhalte der Regelung bedürften, so etwa eine verbesserte Zusammenarbeit von Behörden oder eine bessere Erfassung und Behandlung psychischer Auffälligkeiten bzw. Erkrankungen bei nach Deutschland geflüchteten Menschen.
Und dann: In seinem am 13. November 2024 im Deutschen Bundestag vorgetragenen Statement hatte Friedrich Merz eben nicht nur eine Zusammenarbeit mit der AfD ausgeschlossen. Vielmehr hatte er ein Verfahren vorgeschlagen, mit dem ein jegliches Zustandekommen von durch die Zustimmung der AfD-Fraktion zustande gekommenen Mehrheiten ausgeschlossen werden sollte – sogar für die Festlegung der Tagesordnung für die in dieser Legislaturperiode noch verbleibenden Sitzungen des Bundestages. Und hinsichtlich eines Abweichens von diesem von ihm selbst vorgeschlagenen Verfahren hatte er ausdrücklich bekräftigt: „Wir wollen das nicht.“
Damit hat Friedrich Merz eine vor dem Deutschen Bundestag – der gewählten Vertretung des Deutschen Volkes! – gegebene Zusage gebrochen! Die von Bundeskanzler Olaf Scholz daraufhin geäußerten Zweifel, ob dem gegebenen Wort dieses Mannes noch unbedingtes Vertrauen geschenkt werden könne, kann ich angesichts dessen zumindest nachvollziehen. Und angesichts der Tragweite dieses Vorgangs halte ich auch den Vorwurf des „Tabubruchs“ für durchaus berechtigt und angemessen:
Nehmen wir zunächst zur Kenntnis, dass einige Landesverbände der AfD gerichtlich bestätigt als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft worden sind, dass ihr Thüringer Landesvorsitzender Björn Höcke bereits mehrfach wegen der Verwendung nationalsozialistischer Losungen verurteilt worden ist und dass ihre Co-Vorsitzende und Kanzlerkandidatin Alice Weidel in einem unlängst stattgefundenen Online-Gespräch mit einem gewissen Elon Musk einen Versuch extremer Geschichtsfälschung in Gestalt der Behauptung unternommen hat, Adolf Hitler sei Kommunist gewesen. Erinnern wir uns sodann an die historische Fehleinschätzung der deutschen konservativen Parteien des Jahres 1933 zurück, ein Reichskanzler Adolf Hitler und seine NSDAP könnten von ihnen unter Kontrolle gehalten werden, die Grundlage dafür war, dass Reichspräsident Paul von Hindenburg entgegen seiner zuvor mehrfach geäußerten Überzeugung eben jenen Mann in dieses Amt berief. Halten wir uns sodann die Reaktionen der Fraktionen der CDU/CSU und der AfD vor Augen, nachdem einer der von der CDU/CSU eingebrachten Anträge tatsächlich dank der AfD-Stimmen die Mehrheit des Deutschen Bundestages gefunden hatte: auf der einen Seite betretenes Schweigen, auf der anderen Seite nahezu grenzenloser Jubel! Und denken wir schließlich daran, mit welch’ ebensolcher Verachtung wenige Tage nach der Annahme dieses Entschließungsantrags die AfD-Co-Vorsitzende Alice Weidel versuchte, eben jenen Friedrich Merz lächerlich zu machen, der ihrer Partei zu diesem Triumph verholfen hatte.
Wenn wir dies alles getan haben, wird uns vielleicht langsam die Dimension von Friedrich Merz’ Handeln bewusst. Er hat einer Partei, deren Gefährlichkeit er und viele seiner Parteifreunde immer wieder betont haben, ohne wirkliche Not die Bühne eröffnet, ihr zu einem großen Triumph verholfen und sie damit hoffähig gemacht. Ich kann aus vollem Herzen die Botschaft jener Aktivisten unterstützen, die vom Balkon eines der CDU zuzurechnenden Gebäudes in Hannover aus ein Transparent mit dem Text „Friedrich von Hindenburg“ präsentierten – dankenswerterweise recht gut eingefangen von den Kameras für die ARD-Tagesschau. Und ich teile – leider – die Befürchtung der Korrespondentin Julie Kurz aus dem ARD-Hauptstadtstudio, die im „tagesthemen“-Kommentar vom 29. Januar 2025 (dem Tag der Annahme des Entschließungsantrags) sinngemäß die Befürchtung äußerte, Merz’ Vorgehen könne bei der Bundestagswahl am 23. Februar möglicherweise eher die AfD stärker machen als die CDU. Dass das „Zustrombegrenzungsgesetz“ (allein die aus diesem Begriff sprechende Gefühlskälte lässt mich schaudern) letztlich gescheitert ist, ist vor allem dem Umstand zu verdanken, dass einige Abgeordnete aus den Reihen von CDU/CSU und FDP hierüber gar nicht erst abgestimmt haben. So ist der allergrößte Schaden – vorerst – ausgeblieben; der dennoch für die Demokratie in Deutschland entstandene Schaden ist aber auf keinen Fall zu unterschätzen.
Wird Sahra Wagenknecht Steigbügelhalterin für Björn Höcke?
Werfen wir einleitend einen kurzen Blick zurück: Am 1. September wurden in Sachsen und Thüringen neue Landtage gewählt, drei Wochen später folgte die Landtagswahl in Brandenburg. Die Ergebnisse dieser Wahlen haben nicht nur direkte Folgen für diese Bundesländer; sie könnten durchaus auch Auswirkungen auf die politische Situation in ganz Deutschland haben. Doch der Reihe nach:
Bei diesen Wahlen wurde die (selbsternannte) „Alternative für Deutschland“ (AfD) in Thüringen stärkste politische Kraft, in den beiden anderen Bundesländern landete sie knapp geschlagen jeweils auf Platz zwei. Weiteres bemerkenswertes Ergebnis dieser Wahlen war, dass eine erst im September 2023 im Bund gegründete Partei, deren Landesverbände erst später gegründet wurden (und dies noch immer nicht in allen Bundesländern), das „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW), mit Stimmenanteilen zwischen 11,8% (Sachsen) und 15,8% (Thüringen) in Sachsen und Thüringen drittstärkste Kraft und wurde und in Brandenburg sogar Platz zwei erobern konnte. Da zudem bei diesen Wahlen einige der etablierten Parteien erhebliche Stimmenverluste hinnehmen mussten bzw. in den neu gewählten Landtagen gar nicht mehr vertreten sind, ergibt sich in allen drei Bundesländern die Konstellation, dass die Bildung einer Regierung ohne Beteiligung oder gar unter Führung der AfD nur möglich ist, wenn das BSW für eine Regierungsbeteiligung gewonnen werden kann. In Thüringen könnte eine Mehrheitsregierung sogar nur dann gebildet werden, wenn sich alle übrigen im Landtag vertretenen Parteien zusammenfinden würden. In Sachsen hätte eine Koalition aus CDU, BSW und SPD (hier in der Reihenfolge des Wahlergebnisses genannt) eine Mehrheit von 66 der 120 Landtagssitze. In Brandenburg schließlich, wo nur noch vier Parteien im neu gewählten Landtag vertreten sind, können nur der dortige Wahlsieger SPD und das BSW eine Mehrheitsregierung bilden (46 von 88 Sitzen); abgesehen davon, dass die bisher mitregierende CDU wegen der bei dieser Wahl erlittenen Stimmenverluste (sie fiel von 15,6% auf 12,1% der Stimmen zurück) bereits unmittelbar nach Verkündung des amtlichen Endergebnisses eine erneute Regierungsbeteiligung ausgeschlossen hatte, kämen sie und die SPD nur auf 44 von 88 Sitzen und hätten somit keine Mehrheit.
Hieraus ergibt sich insbesondere für die CDU in Thüringen, aber auch in Sachsen, eine pikante Situation. Hierzu muss man wissen, dass diese Partei auf ihrem 2018 abgehaltenen Bundesparteitag so genannte „Unvereinbarkeitsbeschlüsse“ hinsichtlich einer politischen Zusammenarbeit sowohl mit der AfD als auch mit der Partei DIE LINKE gefasst hatte, die bis heute fortgelten. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, dass das BSW eine Abspaltung aus der Partei DIE LINKE darstellt und seine (Mit-)Begründerin, Namensgeberin und Vorsitzende Sahra Wagenknecht ihre ursprüngliche politische Heimat in der SED, der Staatspartei der ehemaligen DDR, hat, in der sie lange Zeit ein führendes Mitglied der „Kommunistischen Plattform“ war. Und ebendieser Unterteil der SED war einer der tragenden Gründe für die Entscheidung der CDU eine Zusammenarbeit mit der LINKEN kategorisch auszuschließen (s. S. 9 des Dokuments). Diese Gemengelage führt zu einem fast schon kuriosen Ergebnis: Die CDU (deren Vorsitzender und Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl 2025, Friedrich Merz, eine Zusammenarbeit mit dem BSW auf Bundesebene ausschließt) muss in diesen Bundesländern die Zusammenarbeit mit einer Partei (ver-)suchen, die von einer Person dominiert wird, die mitentscheidend für den Beschluss der Unvereinbarkeit der Zusammenarbeit mit einer anderen Partei war – und das Ganze wiederum, um die Regierungsbeteiligung einer anderen Partei zu verhindern, die von den Verfassungsschutz-Ämtern dieser Länder als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft wird und gegenüber der ebenfalls ein Unvereinbarkeitsbeschluss besteht.
Hinzu tritt noch die programmatische Ausrichtung des BSW, die wesentlich von Sahra Wagenknecht geprägt wird und von ihr als entscheidend für die erzielten Wahlerfolge angesehen wird. Extrem wichtig ist hierbei die Ablehnung weiterer Waffenlieferungen an die Ukraine zu deren Unterstützung gegen den von Russland angezettelten Angriffskrieg und die für 2026 geplante Stationierung von Raketen und Marschflugkörpern großer Reichweite in Deutschland. Obwohl die Umsetzung dieser Anliegen eindeutig auf der bundespolitischen Ebene angesiedelt ist und von den Bundesländern kaum beeinflusst werden kann hat Sahra Wagenknecht bereits frühzeitig erklärt, sie mache die Beteiligung des BSW an Koalitionen in den Bundesländern davon abhängig, dass diese Positionen in den jeweiligen Koalitionsvereinbarungen deutlich zum Ausdruck kämen. Im Gegensatz hierzu machen sich insbesondere die CDU; sehr wohl aber auch die SPD, für eine weitere militärische Unterstützung der Ukraine in ihrem Abwehrkampf gegen die russische Aggression und die geplante Stationierung von Langstreckenwaffen stark, die sie als notwendige Abschreckung gegen eine für die kommenden Jahre als zunehmend angenommene Gefahr eines russischen Angriffs auf das Gebiet der NATO ansehen.
In der vergangenen Woche (21. - 27, Oktober 2024) zeigte sich, wie brisant sich diese Gemengelage auf das Vorhaben auswirken kann, mit Hilfe des BSW eine Beteiligung der AfD an Landesregierungen zu verhindern. In der Woche zuvor hatte der frisch zum Kanzlerkandidaten der CDU/CSU gekürte CDU-Vorsitzende und Oppositionsführer Friedrich Merz in einem ARD-Interview und anschließend auch in einer Debatte im Deutschen Bundestag erklärt, er wäre unter bestimmten Bedingungen bereit, „Taurus“-Marschflugkörper an die Ukraine zu liefern, nachdem die russischen Luftangriffe auf das Land immer zahlreicher werden und auch immer mehr zivile Opfer fordern (Bundeskanzler Olaf Scholz [SPD] hat eine solche Lieferung in der Vergangenheit mehrfach abgelehnt). Am 18. Oktober verkündeten dann Vertreter der CDU, des BSW und der SPD in Erfurt, man habe die Sondierungsgespräche erfolgreich abgeschlossen und wolle in der folgenden Woche in Koalitionsverhandlungen eintreten. Doch schon wenig später wurde diese Einigung von der Vorsitzenden des BSW Thüringen, Katja Wolf, wieder in Frage gestellt: vor dem Beginn von Koalitionsverhandlungen müsse über die Formulierung der Friedensfrage Einigkeit erzielt werden. Zwar hatten sich die Unterhändler dem Vernehmen nach zuvor bereits auf vage Formulierungen verständigt; die reichten BSW-Chefin Sahra Wagenknecht aber angesichts der erwähnten Merz-Äußerungen offenbar nicht aus. Sie forderte den thüringischen CDU-Landesverband auf, sich von seinem Bundesvorsitzenden „zu distanzieren“. Thorsten Frei, Erster Parlamentarischer Staatssekretär der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, bezeichnete diese Forderungen im ZDF-Mittagsmagazin vom 23. Oktober 2024 als „wenig hilfreich“ und sogar „absurd“. In der Folge sah es so aus, als stünden weitere Gespräche zur Bildung einer so genannten Brombeer-Koalition vor dem Aus. Die von den Unterhändlern gefundenen Formulierungen gingen Sahra Wagenknecht nicht weit genug, der von ihr vorgelegte Alternativ-Text war für CDU und SPD nicht akzeptabel.
Angesichts dieser Entwicklungen wurde an diesem Wochenende (26,/27. Oktober) zunehmend die Frage diskutiert, ob Sahra Wagenknecht eine Regierungsbeteiligung des BSW in Thüringen und Sachsen (dazu weiter unten) überhaupt wolle oder ob sie nicht vielmehr übergeordnete bundespolitische Ziele verfolge. Hierzu erschienen am 28. Oktober 2024 Online-Beiträge des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) und des Deutschlandfunks. In letzterem kommt auch der Politikwissenschaftler Benjamin Höhne zu Wort – mit durchaus bemerkenswerten Ansichten zur Struktur des BSW. Er schätze die Situation so ein, dass die Landesverbände des BSW „faktisch vielleicht so unfrei sind, wie in keiner anderen Partei ein Landesverband“. Es sei „so konfiguriert, dass dort von oben nach unten durchregiert wird, um das salopp auszudrücken“. Er spricht von einer „zentralistischen Steuerung“ und wenigen „handverlesenen Mitgliedern“. Man sehe das „alte rechte Organisationsmodell“ eines „charismatischen Führers an der Spitze“ mit einem „schlanken Apparat“, so Höhne. Beschlüsse würden „top-down gefasst“. Hier sei das BSW weit weg von den Vorgaben des Grundgesetzes, dessen Artikel 21 fordere, dass die innere Ordnung der Parteien „demokratischen Grundsätzen entsprechen“ muss.
Auch in Sachsen, wo die Gespräche sich nach einer „Kennenlern-Phase“ noch immer im Stadium von Sondierungen befinden, kam es am 25. Oktober 2024 zu einer ernsthaften Krise in den Verhandlungen. Dort wurde an diesem Tag über einen AfD-Antrag zur Einsetzung eines Corona-Untersuchungsausschusses abgestimmt – für die dortige Landes-SPD ein sensibles Thema, weil in diesem laut dem AfD-Antrag auch das Handeln der seinerzeit verantwortlichen Ministerin aus den Reihen dieser Partei auf den Prüfstand gestellt werden soll. Und obwohl dies für die Einsetzung dieses Ausschusses gar nicht erforderlich gewesen wäre, stimmte ein großer Teil der BSW-Landtagsabgeordneten für diesen Antrag. Daraufhin stoppte die SPD die Sondierungsverhandlungen vorläufig; der „Schulterschluss von AfD und BSW“ sei eine schwere Belastung für die laufenden Sondierungsgespräche. Zu diesen Vorgängen äußerte sich der Dresdner Politikwissenschaftler Hans Vorländer gegenüber der Deutschen Presse-Agentur: „Es handelt sich um einen Affront gegenüber den potenziellen Koalitionspartnern“, erklärte er. Das BSW habe damit Misstrauen und Unzuverlässigkeit demonstriert. Ob das BSW künftig auch bei anderen Themen mit der AfD stimmen werde, sei vollkommen unsicher. Er sehe daher zur Zeit keine verlässliche und vertrauensvolle Basis für eine Koalition aus CDU, BSW und SPD.
Inzwischen hat sich die Situation in Thüringen etwas entspannt, die Verhandlungen scheinen jedoch nach wie vor auf der Kippe zu stehen. Zunächst wurde am 28. Oktober gemeldet, die Parteien hätten sich auf die Präambel eines möglichen Koalitionsvertrags geeinigt; einschränkend hieß es allerdings, die Zustimmung des BSW-Landesvorstands stehe noch aus. Diese liegt zwar inzwischen vor, dennoch dauern die Unstimmigkeiten zwischen dem Landesverband Thüringen und BSW-Chefin offenbar nahezu unvermindert an. Die hatte sich bereits am Abend dieses Tages unzufrieden mit dem gefundenen Kompromiss gezeigt: er bleibe „leider deutlich hinter dem in Brandenburg gefundenen guten Kompromiss zurück“. Zuvor hatte die BSW-Landesvorsitzende, Katja Wolf, auf einer Pressekonferenz erklärt, das Dokument sei mit der Bundesspitze „intensiv diskutiert worden“. Eine Zustimmung aus Berlin sei rein formal nicht vorgesehen. Die Situation in Brandenburg sei eine andere: dort müsse man nur mit einer Partei über eine Koalition verhandeln und nicht mit zweien. Der sich zu diesem Zeitpunkt bereits abzeichnende Machtkampf zwischen dem Thüringer BSW-Landesverband und der Spitze der Bundespartei spitzte sich denn auch am 31. Oktober weiter zu. Wenn der Landesverband seine außenpolitischen Positionen nicht konkretisiere, bleibe nur der Gang in die Opposition, hieß es aus Kreisen der Bundespartei.
Bereits am 28. Oktober hatte sich der Oliver Lembcke von der Ruhr-Universität in Bochum gegenüber dem MDR Thüringen zu dem sich abzeichnenden Konflikt geäußert. „Das kann und wird die Koalitionsverhandlungen beeinträchtigen. Das kann sie möglicherweise behindern oder auch zum Scheitern bringen.“ Es handle sich hier um eine Machtprobe zwischen Katja Wolf und Sahra Wagenknecht; die werde das Thema Krieg und Frieden niemals loslassen. Sie stehe dafür und sei hauptsächlich dafür gewählt worden. Er teilt die Auffassung von Benjamin Höhne über das BSW, ohne ihn zu nennen. Dass eine Parteichefin sich „so öffentlich und so häufig“ in Angelegenheiten der Landesverbände einmischt, bezeichnet er als „speziell“. „Im Prinzip hat Sahra Wagenknecht eine klar autoritäre Struktur etabliert“, erklärt er weiter. Das BSW sei eine Kaderpartei. Dazu gehöre beispielsweise das Verfahren, Mitgliedsanträge streng zu prüfen. „Wer es überhaupt schafft, Mitglied zu werden, der muss sich gewissermaßen einreihen. Die einzige Struktur, die diese Partei kennt, ist von oben nach unten, also Top-down.“ Formalrechtlich betrachtet sei das BSW eine Partei, aber der Struktur nach wolle man keine Mitglieder – und offenbar auch keine regionale Verwurzelung. Nun gebe es „handfeste Interessengegensätze“, und der Thüringer Landesverband versuche „Beinfreiheit zu gewinnen“. Das mache Katja Wolf „in gewisser Weise richtig“. Kein Politiker könne durch geliehene Autorität erfolgreich in der Politik sein.
Anscheinend etwas ruhiger stellt sich am 1. November 2024 die Situation in Sachsen dar. Nach der Unterbrechung der Sondierungsgespräche durch die SPD trafen sich dort die Parteien am 28. Oktober zu einem von dieser Partei geforderten „klärenden Gespräch“. Dabei seien das Abstimmungsverhalten im Plenum und die Missverständnisse im Umgang miteinander angesprochen und ausgeräumt worden, wurde im Anschluss mitgeteilt. Man habe Vereinbarungen getroffen, wie man sich während der Sondierungsgespräche künftig besser abstimmen und zusammenarbeiten wolle. Über die Ergebnisse der Arbeitsgruppen ab 7. November müssten dann die Landesvorstände der Parteien abstimmen, bevor offizielle Koalitionsverhandlungen aufgenommen werden könnten.
Meine Meinung: Die hier beschriebenen Vorgänge beunruhigen mich zutiefst, und die wiedergegebenen Einschätzungen der Politikwissenschaftler und Parteienforscher sind auch nicht geeignet, an diesem Gefühl Wesentliches zu ändern. Vordergründig geht es „nur“ um eine Krise in den Verhandlungen zur Bildung neuer Landesregierungen in Thüringen und Sachsen und darum, die in beiden Ländern von den jeweiligen Landesämtern für Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte AfD aus diesen Landesregierungen herauszuhalten. Obwohl man also meinen könnte, es handle sich „nur“ um eine diese beiden Bundesländer betreffende Krise, habe ich für diesen Beitrag in diesem Angebot eine neue Seite mit dem durchaus gewichtigen (und sehr bewusst gewählten) Titel „AfD, BSW – Wohin steuern sie Deutschland?“ ins Leben gerufen – weil ich (entsprechend der URL dieser Seite) in diesen Vorgängen mehr sehe: eine „Deutschland-Krise“.
Alarmismus? Panikmache? Ich denke (hoffe) nein. Betrachten wir die Dinge einmal etwas näher: Aufrechten Demokraten sollte es ein Anliegen sein, eine als „gesichert rechtsextrem“ eingestufte Partei von Regierungsverantwortung fernzuhalten, wo immer dies unter Einhaltung rechtsstaatlicher Standards möglich ist. Um dies zu erreichen, sollten sich die (verbliebenen) auf dem Boden der jeweiligen Verfassung stehenden Parteien auf ihre gemeinsamen Werte besinnen, ihre programmatischen Unterschiede ein Stück weit beiseite räumen und versuchen, gemeinsame Lösungen zu finden, die den Menschen nützen und das Gemeinwesen voranbringen können. Mir ist bewusst, dass dies viel leichter geschrieben als getan ist. aber wenn es jetzt, in genau dieser Situation, nicht gelingt, dann gerät letztlich womöglich unser demokratisches System und damit unser komplettes Wertesystem in Gefahr. Und hier liegt nun die Krux:
Als ich den Entschluss fasste diesen Artikel zu schreiben, hatte ich eine vage, dumpfe Ahnung, die durch die notwendigen Recherchen nun in weiten Teilen bestätigt worden ist: Um eine Partei aus der Regierungsverantwortung fernzuhalten, die jedenfalls in großen Teilen ein anderes Deutschland will als das, in dem wir heute leben, und in der nicht wenige bereit sind, hierfür auch Gewalt einzusetzen, benötigen die etablierten demokratischen Parteien die Hilfe einer anderen Partei, die den hier gewonnenen Erkenntnissen zufolge zumindest Züge autoritärer Strukturen aufweist und bei der fraglich ist, ob sie insoweit den Anforderungen genügt, die unser Grundgesetz an Parteien stellt.
Eine der verbliebenen Parteien des demokratischen Spektrums ist die CDU (jedenfalls begreift sie sich als eine demokratische Partei, und in weiten Teilen ist sie wohl auch eine solche). Dass sie für sich eine Zusammenarbeit mit Parteien ausschließt, die sie für undemokratisch hält oder von denen sie glaubt, sie wollten eine andere staatliche Ordnung erreichen, ist zunächst einmal verständlich und sicher auch legitim. Was den kategorischen Ausschluss einer Zusammenarbeit mit der AfD betrifft, sollte dieser unter aufrechten Demokraten keiner weiteren Diskussion bedürfen. Etwas anderes könnte sich jedoch für das ebensolche Ausschließen einer Zusammenarbeit mit der Partei DIE LINKE ergeben. Schauen wir einmal etwas genauer hin:
Gefasst wurde der entsprechende Parteitagsbeschluss im Jahr 2018; die darin auf S. 9 aufgeführten Gründe scheinen für diese Zeit auch durchaus plausibel zu sein. Doch wir schreiben inzwischen das Jahr 2024! In diesem Jahr ist es zehn Jahre her, dass Bodo Ramelow von der Partei DIE LINKE zum ersten Mal zum Ministerpräsidenten Thüringens gewählt wurde – in ein Amt, das er seither (mit einer kurzen Unterbrechung) innehat (derzeit geschäftsführend). In dieser Zeit hat seine Partei einer Regierung vorgestanden (seit 2020 einer Minderheitsregierung) und sich im demokratischen Prozess bewähren können. In diesem Jahr ist die frühere Führungsfigur der „Kommunistischen Plattform“, Sahra Wagenknecht, nicht mehr Mitglied dieser Partei, sondern vielmehr Co-Vorsitzende des von ihr wesentlich initiierten BSW. Die Partei DIE LINKE wird mindestens seit 2020 jedenfalls in Gänze nicht mehr vom Verfassungsschutz beobachtet, und im aktuellen Verfassungsschutzbericht (für 2023) ergibt dieser Suchbegriff nur noch einen (inhaltlichen) Treffer: in diesem wird beschrieben, trotzkistische Gruppierungen versuchten in der Partei an Einfluss zu gewinnen.
Diese Fakten dürften eine Rolle für den Beitrag gespielt haben, mit dem sich nach Bekanntwerden der bei den Thüringer Verhandlungen aufgetretenen Probleme Mario Czaja zu Wort meldete, immerhin einer der früheren Generalsekretäre der CDU. In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) gab er zu bedenken: „Die schwierigen Koalitionsverhandlungen in Thüringen zeigen, dass es sich jetzt rächt, dass sich meine Partei nicht kritisch mit dem Unvereinbarkeitsbeschluss zur Linkspartei auseinandergesetzt hat. Denn Björn Höcke kann in Thüringen mit einfacher Mehrheit im dritten Wahlgang Ministerpräsident werden, wenn die CDU keinen Konsens mit dem BSW oder mit der Linkspartei findet.“ Und weiter: „Es ist ein großer Fehler, nicht mit der regierungserfahrenen und gemäßigteren Linken, der Linkspartei von Bodo Ramelow, zu sprechen und stattdessen mit der Person zu verhandeln, deren kommunistische Plattform in der Linken in der Vergangenheit vom Verfassungsschutz beobachtet wurde.“
Mit dem letzten Punkt hat Czaja (hoffentlich nicht nur) mir „aus dem Herzen gesprochen“ (wie man so schön sagt): Sahra Wagenknecht und ihr BSW treten für „Frieden“ ein – an und für sich begrüßenswert, denn: wer wünscht sich keinen Frieden? Es ist auch nicht dieses Eintreten für Frieden, das ich problematisch finde: es ist der dahinterstehende Friedensbegriff. Dieser beinhaltet nicht zuletzt die Forderung nach einem sofortigen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine. In meiner Ausarbeitung „Welcher Weg kann Frieden bringen?“ habe ich im Februar 2023 verschiedene Wege aufgezeigt, wie ein Frieden in diesem Konflikt erreicht werden könnte. In dem Abschnitt „Der ‚Verhandlungs‘-Frieden“ wird darin (S. 5 f.) auch aufgezeigt, dass die Vorstellungen, die Frau Wagenknecht und ihre Unterstützer mit dem Begriff „Frieden“ verbinden, durchaus nicht unproblematisch sind und vor allem fraglich ist, ob ein solcher wirklich nachhaltig und dauerhaft sein würde.
Die CDU tritt dagegen in diesem Konflikt für eine Lösung ein, die eher mit dem ebenfalls in der Ausarbeitung erörterten griff eines „Stärke“-Friedens umschrieben werden könnte (vgl. dort ab S. 7). Dass ein mögliches Zusammengehen von Parteien mit so unterschiedlichen Vorstellungen in Fragen, die letztlich die Sicherheit ganz Europas und damit eben auch Deutschlands betreffen, sehr problematisch sein kann, liegt auf der Hand. So warnt auch Mario Czaja in seinem bereits erwähnten Interview: „Sowohl eine Koalition mit dem autokratisch geführten BSW als auch die greifbare Gefahr, dass ohne diese Zusammenarbeit Björn Höcke in wenigen Wochen Ministerpräsident wird, drohen die Partei in ihren Grundfesten zu zerreißen.“
Doch es geht hier – so fürchte ich – nicht allein um die Zukunft der CDU; es geht hier durchaus um die Zukunft Deutschlands, um die Zukunft der Demokratie in diesem Land. Zum einen (kurzfristig): Wenn CDU und BSW in Thüringen nicht zusammenfinden können, droht (Mario Czaja hat es angesprochen) dort eine Regierung unter Führung der AfD und ein Ministerpräsident Björn Höcke – immerhin ein Mann, der ohne Androhung von Strafe ein Faschist genannt werden darf. Zum anderen darf (langfristig) keinesfalls übersehen werden, dass es zwischen AfD und BSW programmatische Schnittmengen gibt: beide treten für einen höchst fragwürdigen Frieden im Krieg zwischen der Ukraine und der Russischen Föderaton ein – einen Frieden, der weit mehr die Interessen des russischen Präsidenten Wladimir Putin als die weiter Teile des ukrainischen Volkes berücksichtigen würde und letztlich möglicherweise sogar eine Bedrohung für die Freiheit des restlichen Europas darstellen könnte.
Es ist dieser Gesichtspunkt, der sowohl für die Benennung dieser Seite als auch für die Überschrift dieses Artikels verantwortlich ist. Wenn sich Sahra Wagenknecht mit ihren Vorstellungen zu einer das Thema Frieden behandelnden Formulierung in einer Präambel einer möglichen Koalitionsvereinbarung in Thüringen gegen Katja Wolf und den Thüringer BSW-Landesverband durchsetzen kann und so letztlich ein Zustandekommen einer Koalition verhindert, die einen Ministerpräsidenten Björn Höcke ausschließt, würde sie sich den Vorwurf gefallen lassen müssen, für ihn zur Steigbügelhalterin geworden zu sein.*) Dies könnte Folgen für die Koalitionsverhandlungen auch in Sachsen und möglicherweise sogar in Brandenburg haben – und darüber hinaus letztlich auch für die Bundespolitik und die deutsche Parteienlandschaft. So oder so: ich fürchte, dass Deutschland vor unruhigen bis sehr unruhigen Zeiten steht – und dass AfD und BSW dabei eine unrühmliche Rolle spielen könnten (zumindest aus der Sicht überzeugter Demokraten).
Der Vollständigkeit halber: Es sieht so aus, als hätte Mario Czaja bei seiner Wortmeldung übersehen, dass DIE LINKE in Thüringen das BSW bei einer Regierungsbildung keinesfalls ersetzen kann; ohne das BSW könnte keine stabile Regierung gegen Björn Höcke und die AfD gebildet werden. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die von der CDU angestrebte „Brombeer-Koalition“ eben allein auch keine Mehrheit im thüringischen Landtag hätte, ihr dagegen eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der LINKEN eine solche verschaffen könnte.
*) Diesen Vorwurf könnte man selbstverständlich auch der CDU machen, weil sie nicht bereit sein würde, auf die entsprechenden Forderungen von Sahra Wagenknecht einzugehen. Das ist eine Frage des politischen Standpunktes und -ortes. Da ich jedoch der Auffassung bin, dass der von Sahra Wagenknecht vertretene Friedensbegriff Deutschlands Sicherheit langfristig gesehen stärker gefährden würde als die von der CDU eingenommene Position im Ukraine-Konflikt, vertrete ich den aus der Überschrift dieses Artikels deutlich werdenden Standpunkt.
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